Skip to main content

CONCERTI: “Schicksalhafter Rossini”

Sie ist sehr attraktiv, hat viel Humor und Temperament und ist im Gespräch sehr aufgeschlossen. Das kennt man auch von anderen Sängerinnen aus Osteuropa. Etwas aber irritiert. Marina Rebeka trägt ihre Armbanduhr links, soweit nichts Ungewöhnliches. Mit den Zeigern scheint aber etwas nicht zu stimmen, sie drehen sich gegen den Uhrzeigersinn, das Ziffernblatt wirkt seitenverkehrt. Marina Rebeka lacht laut, als sie meinen Blick bemerkt. „Eine normale Uhr könnte ich gar nicht lesen. So ist es viel einfacher für mich. Mein Gehirn tickt einfach ein bisschen anders“, sagt sie und lacht wieder: „Ich zeige es Ihnen“, sagt sie jetzt, während sie ein Blatt Papier nimmt und ihren Namen mit der linken Hand darauf schreibt.

Von rechts nach links, wie die Araber, in der sogenannten Spiegelschrift, die erst bei einer Betrachtung im Spiegel zu lesen ist. „Leonardo da Vinci hat auch so geschrieben“, sagt sie fröhlich, „aber bitte schließen Sie nicht daraus, dass ich so klug bin wie Leonardo!“ Bücher lesen falle ihr sogar schwer, alles ginge „sehr langsam“, beim Studium von Partituren beginne sie gerne mit dem Ende. Ihr Gehirn allerdings arbeite sehr schnell: „Ich mache alle Computer kaputt, weil meine Reaktionen oft sehr schnell sind und die Tasten das nicht aushalten!“

Bewegende Familiengeschichte

Im einst von den Sowjets beherrschten Riga, wo Marina Rebeka 1980 geboren wurde, sollte sie zur Rechtshänderin umgeschult werden. Das Regime habe ohnehin „Menschen, die anders waren“, gar nicht erst geduldet. Schwerer aber noch hatten es ihr Urgroßvater und ihr Großvater mütterlicherseits. „Der Urgroßvater hatte eine hohe politische Funktion, war später am Gerichtshof und stand natürlich im Fokus der Stalin-Diktatur.“ Er wurde nach Sibirien deportiert und kam dort zu Tode. Auch sein Sohn kam als ein „Feind des Vaterlandes“ dorthin und wurde lange Zeit seines Lebens drangsaliert und verfolgt. „Sie haben sogar versucht, ihn umzubringen, als es ihm gelang, nach Riga zurückzukehren. Er besaß keine Dokumente, hatte aber ein Tagebuch in seiner Zeit in Sibirien geschrieben, obwohl er wusste, dass er dafür erschossen werden würde, wenn das jemand herausbekäme.“

Marinas Großvater gab es seiner Mutter, auf dass sie es zerstöre und verbrenne, doch die Mutter nähte es in das Futteral eines Koffers ein. Anfang der neunziger Jahre, nach Glasnost, öffnete sie den Koffer, und der Großvater machte aus den Notizen ein Buch, das ein Bestseller wurde. Ihre Liebe zur Musik verdankt sie diesem Großvater, der sie in Riga in die Oper mitnahm. Mit dreizehn habe sie „Norma“ gehört und beschlossen, dass sie diese Partie eines Tages singen werde. „Das war so lustig. ‚Norma’ war damals die letzte Oper am Lettischen Nationaltheater vor der Renovierung des Hauses Anfang der Neunzigerjahre. Und als das Haus wiedereröffnet wurde, stand ‚Norma’, wenn auch konzertant, wieder auf dem Spielplan. Und raten Sie mal mit wem: mit mir!“

Ein Mädchentraum wird wahr

In den Jahren dazwischen arbeitete Marina Rebeka zielstrebig an ihrem künstlerischen Werden, trotz vieler Hürden und manchem Pech mit Lehrern. „Ich war anfangs im falschen Repertoire unterwegs mit Tosca, der Butterfly und der Königin der Nacht. Natürlich war das eine große Gefahr für meine Stimme. Gott sei Dank habe ich rechtzeitig eingegriffen. Seitdem vertraue ich niemandem mehr außer mir selbst. Man muss sich sehr gut kennen. Dann weiß man auch, was gut für einen ist.“ 2002 ging sie ans Konservatorium nach Parma. Gioachino Rossini wurde ihr Schicksal, auch wenn sie anfangs fand: „Als ich seine Musik erstmals hörte, dachte ich nur: ach, zu viele Wörter, zu viele Noten, zu viele Rezitative. Nein, das ist zu kompliziert für mich! Und dann muss man auch noch die Verzierungen machen!“

Doch das Schicksal war gnadenlos: „Mein allererster Auftritt in Parma war als Rosina, in einer Inszenierung des ‚Barbiers’ für Kinder. Später kamen die Contessa Folleville und die Madama Corteses in ‚Il Viaggo a Reims’ dazu, die Contessa sang ich auch an der Scala. 2008 folgte beim ‚Rossini Opera Festival’ in Pesaro die Anna in ‚Maometto II’. Eine riesige Partie mit einer Arie, die über 17 Seiten geht und 13 Minuten lang ist. Mein Debüt bei den Salzburger Festspielen machte ich als Anaï in ‚Moise et Pharaon’ unter Riccardo Muti. Hinzu kam die Mathilde aus ‚Guillaume Tell’.

Marina Rebeka und Rossini

Viele dieser Arien finden sich nun auf ihrer neuen Rossini-CD. Doch Rebeka legt sich ungern fest. Sie glänzte als Violetta in „La traviata“, als Fiordiligi in „Così fan tutte“ und Donna Anna in „Don Giovanni“. Bei den Salzburger Festspielen 2016 sprang sie „last minute“ als Thaï in Massenets gleichnamiger Oper ein, mit Plácido Domingo an ihrer Seite und dem Münchner Rundfunkorchester, dessen „Artist in Residence“ sie in der nächsten Saison ist. Und im Oktober wird endlich ihr Mädchentraum wahr: Sie debütiert als Norma an der Met in New York.

Concerti