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WIENER ZEITUNG: “Prima Classic”

Künstler nicht wie Gefangene halten Die Opernsängerin

 

Marina Rebeka hat den großen Plattenlabels den Rücken gekehrt und ihr eigenes gegründet. Ein Gespräch über die Missstände der Branche und Zukunftshoffnungen.

In grauen Vorzeiten ist es vielleicht einmal so gewesen: Sobald es ein Opernsänger zu etwas gebracht hatte, umschwärmten ihn die Plattenfirmen wie die Motten das Licht. Der Umbuhlte unterzeichnete bei dem Bestbieter mit einem goldenen Füller, danach strömten die Honorare.

Das ist Schnee von gestern. Die Arbeit in der Opernbranche war einmal sehr gut bezahlt und prestigeträchtig , sagt Marina Rebeka. Ist sie heute nicht. Die Sopranistin aus Lettland will nicht über die Gagen der Häuser klagen: Dort würden zumindest jene Sänger gut entlohnt, die ein gewisses Level erreicht haben und dazu zählt wohl Rebeka, die Stammgast ist an der New Yorker Met, der Mailänder Scala und der Wiener Staatsoper. Was sie ärgert, sind die Zustände in der Plattenindustrie und zwar so sehr, dass sie ihr eigenes Label Prima Classic aus der Taufe gehoben hat. Ein Schritt, den laut Rebeka bisher nur eine klassische Sängerin konsequent gesetzt hat, nämlich Edita Gruberova mit Nightingale Classics.

Profis zahlen für die eigene CD

Was Rebeka an der Branche stört? Dazu muss die Sängerin ein wenig ausholen, sie wechselt von Deutsch auf Englisch und beginnt mit dem Wort First . Erstens also: Die großen Firmen verfolgen den Grundsatz, zwei, drei führende Sänger verschiedener Stimmlagen zu verpflichten, mehr nicht. Sie denken, sonst den eigenen Künstlern Konkurrenz zu machen, in die sie investiert haben. Eine Strategie, die die wahre Qualitätsfülle der Bühnen verdeckt. Um die ganze Bandbreite der Sänger zu hören, die etwas können, muss man in die Opernhäuser gehen. Ich kenne viele Kollegen, die es bei Plattenfirmen versucht haben und zu hören bekamen: Nein danke, ihren Stimmtyp haben wir schon.

Wer es unter ein großes Labeldach geschafft hat, sei aber auch nicht immer beneidenswert. Exklusivverträge ketten Sänger an ihre Dienstherren, und die gingen mit ihren Goldkehlen nicht stets partnerschaftlich um. Da könne es etwa passieren, dass man zwischen Tür und Angel vor vollendete Tatsachen gestellt werde. Übrigens, du nimmst mit dem Dirigenten So-und-so dieses Programm auf. Rebeka habe das einmal erlebt und abgelehnt.

Was sie außerdem stört: Die starren Bedingungen, unter denen die CDs entstehen. Da heißt es dann, wir haben heute zwei, drei Stunden, um Rebekas Album zu mixen. Genau so lange würde dann auch gearbeitet nicht bis zu dem Punkt, an dem die Aufnahme so perfekt wie das Live-Erlebnis klingt. Weiteres Übel: Die Opernsänger würden allesamt mit dem gleichen Sound aufgenommen. Das führt zu der Einschätzung, dass der eine Sänger besser für eine Studioproduktion geeignet ist als der andere. Kleine Stimmen klingen durch das Mikrofon oft fantastisch, große grell. Du darfst aber eben nicht jeden im Studio gleich aufnehmen , sagt Rebeka.

Und zu schlechter Letzt trübt mitunter ein Geldzank das Verhältnis zur Plattenfirma. Auch davon kann Rebeka berichten: Sie hat einmal ein Album auf eigene Kosten aufgenommen und es einem Major Label überlassen, für 15 Prozent Tantiemen. Das Geld für die vergangenen Jahre sei aber erst geflossen, nachdem sie mit einem Anwalt gedroht hatte. Unerquicklich war aber auch die Summe. Für das Jahr 2017 erhielt Marina Rebeka, ihres Zeichens gefragte Bühnenkünstlerin in Europa und Übersee mit insgesamt 31 Partien im Repertoire, schmale 123 Euro.

Dass sie das besagte Album auf eigene Kosten aufgenommen hat, sei übrigens nichts Außergewöhnliches: Da bin ich nicht die Einzige. Manche Künstler verheimlichen es, andere geben es offen zu. Profit erhoffe sich dabei keiner, sondern vor allem eine gute Visitenkarte. Die Künstler brauchen diese Aufnahmen, um ihre Qualitäten zeigen zu können.

Bei dieser Arbeit will ihnen Rebeka nun unter die Arme greifen: Sie führt ihr Label gemeinsam mit ihrem Mann, einem Tontechniker. Ambitioniertes Ziel: Wir wollen der Welt zeigen, dass es viele großartige Sänger gibt. Wir geben den Künstlern völlige Freiheit bei der Repertoirewahl und mixen so lange, bis sie glücklich sind. Und: Wir wollen Künstler nicht wie Gefangene halten. Skeptische Zwischenfrage: Riecht das nicht nach einem Verlustgeschäft? Rebeka: Am Ende werden wir nicht viel verdienen, aber versuchen, im Gleichgewicht zu bleiben.

Ein Verlustgeschäft zum Beginn

Wobei wohl schon feststeht: Wir werden mit unserem ersten Projekt definitiv Geld verlieren. Gemeint ist damit Rebekas eigene, soeben erschienene CD Spirito . Die Lettin mit der druckvollen, doch klangschönen Stimme überzeugt dabei als Gestalterin von Belcanto-Szenen. In dieses Herzensprojekt hat Rebeka nicht nur viel Stimmfülle und Zeit gesteckt. Sie hat neben einem Orchester auch einen Chor und vier Solisten engagiert. Schließlich wollte sie für das Album nicht nur ein paar Hit-Arien herauspicken, sondern ganze Szenen präsentieren.

Die Zukunft von Prima Classic ? Laut Rebeka möchten vier weitere Kollegen bei dem Label aufnehmen, das bereits auf Spotify und Apple Music präsent ist. Rebeka selbst wird freilich weiter vor allem dort arbeiten, wo sie ihr Geld verdient auf den Opernbühnen. Der Nebenschauplatz Plattenlabel gilt ihr aber als wichtige Mission: Wir haben ein Problem in der Musikindustrie. Sie ist zu sehr zum Geschäft geworden und zu wenig Kunst. Was ist eine Aufnahme? Sie sollte das aufzeichnen, was ein Künstler zu einem gewissen Zeitpunkt erreicht hat. Es ist die Spur, die wir in der Geschichte hinterlassen.